Unter dem Motto „Europa zwischen Migrationskrise und Transformation“ fand vom 16. bis zum 18. März 2016 die bereits fünfte Nachwuchstagung der DNGPS an der Universität in Trier statt. Diesjährig organisiert wurde die Fachtagung maßgeblich von der AG Internationale Beziehungen der DNGPS, deren Mitglieder unter anderem an der Uni in Trier studieren und promovieren.
Auf den aktuellen und breit angelegten Call for Papers sendeten zahlreiche Studierende und DoktornandInnen aus Deutschland und Österreich ihre Arbeiten und Abstracts aus dem gesamten Feld der Sozialwissenschaften ein. Ziel der Tagung war es, fortgeschrittenen Studierenden die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen im wissenschaftlichen Vortragen zu erlangen und ihre Beiträge vor interessiertem Fachpublikum kritisch zu diskutieren.
Thematisch nahm die Fachtagung Bezug auf eine aktuelle Großdebatte der internationalen Politik, nämlich die gegenwärtige Krise der EU und des gesamten Europäischen Kontinentes. Die Weltordnung scheint in Bewegung und innerhalb derer scheint die europäische Perspektive komplexer und schwerer zu erfassen als jemals zuvor. Die Europäische Union hat versucht, strukturell und institutionell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und ihre außenpolitische Dimension sukzessiv zu vergemeinschaften – die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) war ein ambitioniertes Ziel, gilt Außenpolitik doch als Domäne der Nationalstaaten. Im gegenwärtig dauerhaften Krisenmodus scheint dieses Diktum seine Gültigkeit zu bewahren. Innere und äußere Konflikte wirken lähmend und die Union scheint keine adäquaten Konzepte für ihre Probleme generieren zu können. So wirkt die Zerstrittenheit der Mitgliedstaaten in der aktuellen Migrationskrise ambivalent gegenüber dem einst positiven Beispiel der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Zudem zeigen die Ukrainekrise oder der Syrienkonflikt, dass auch in klassischen außenpolitischen Politikfeldern nationale Vorgaben, Interessen und Aktionen die Handlungen bestimmen und den Spielraum einer gemeinsamen Politik begrenzen. Einstige Sonderbeziehungen wie das Mercosur-EU-Verhältnis scheinen ebenso im Sande verlaufen zu sein wie die Bildung eines eigenständigen Machtblocks im internationalen Staatensystem, welcher sich durch Normgenese und internationale Standards definierte.
Paradoxerweise wirkt die EU in ihrem Außenverhalten weder wie eine normative Zivilmacht, noch scheint sie sich zu einem vollwertigen Akteur inklusive realpolitischer Handlungskapazitäten entwickelt zu haben. Ihre prägende Wirkung ist in vielen Strukturen, Standards und Prozessen jedoch nicht zu unterschätzen. Die enge Verzahnung europäischer Staatlichkeit bewirkt eine Amalgamierung nationalstaatlicher Politik, welche zumindest implizit die europäische Perspektive widerspiegelt und die Interessen der Gemeinschaftsorgane weder ignorieren noch umgehen kann. EU-Außenpolitik kann mehr sein als nur bilaterale Beziehung zwischen der EU und Drittstaaten. Vielmehr erscheint sie als ein multidimensionales und vielschichtiges Instrument: Sie oszilliert zwischen Werten und Interessen, findet in den verschiedensten Politikfeldern Ausdruck und bedient sich dabei einer Vielzahl von Mitteln. Und während in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach wie vor die Interessen der Mitgliedstaaten entscheidend sind, können supranationale Elemente in anderen Feldern wie der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik stärker Wirkung entfalten.
Insgesamt wurden auf der Nachwuchstagung über drei Tage hinweg zehn spannende Vorträge von NachwuchswissenschaftlerInnen gehalten. Die OrganisatorInnen der Tagung teilten die Vorträge nach inhaltlichen Gesichtspunkten in vier Panels auf: Die EU in den Internationalen Beziehungen und die GASP, Phänomene europäischer Transformation, die Europäische Union als Akteur in den internationalen Beziehungen sowie Perspektiven auf Krisendynamiken.
Im ersten Panel (Die EU in den IB und die GASP) stellten Vera Pober (Universität Wien) und Jonas Hirt (Universität Freiburg) ihre Arbeiten vor. Das Thema von Vera Pober hätte aktueller nicht sein können und untersuchte die Möglichkeiten und Grenzen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik am Beispiel der europäischen Mittelmeerpolitik. Sie kam zu dem Schluss, dass die EU-Mittelmeerpolitik einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung der Mittelmeerdrittstaaten bisher nicht förderlich war und über keine langfristigen Antworten auf politische Krisen und Konflikte in dieser Region verfügte. Jonas Hirt legte den Fokus auf die Migrationspolitik Deutschlands und deren Bedeutung für die EU. Dabei wurde die Darstellung der Flüchtlingsthematik im Fernsehen untersucht und der Fragestellung nachgegangen, wie der Politikwechsel Merkels in der Flüchtlingsfrage im Sommer 2015 möglich wurde. Durch die Analyse von Bildmaterial kam Hirt zu dem Schluss, dass die bildliche Darstellung der Flüchtlingssituation in Deutschland einem bestimmten, politisch motivierten Narrativ folge.
Im zweiten Panel diskutierten Lorenz Neuberger (Universität Konstanz) und Aziz Elmuradov (Universität Stuttgart) unterschiedliche Phänomene europäischer Transformation. Den Fokus auf die Asylpolitik legte erneut Lorenz Neuberger, und zwar in einer vergleichenden Analyse der Länder Australien, Kanada und Deutschland. Gerade aus den klassischen Einwandererländern Australien und Kanada ließen sich für die Asylpolitik der EU lehrreiche Schlüsse ziehen. Neuberger stelle jedoch fest, dass in allen drei Ländern die menschenrechtliche Perspektive aus den Augen geraten ist und im Sinne einer angeblichen Alternativlosigkeit nur kosmetische Lösungen gefunden werden. Elmuradov hingegen wandte seinen Blick gen Osten und fragte nach den Beziehungen zwischen der EU und Russland und der osteuropäischen Partnerschaft. Auf die Frage, warum das europäisch-russische Verhältnis zunehmend in die Konfrontation verlagert wurde, versuchte er konstruktivistisch zu antworten: Die wachsenden Unterschiede im Verständnis der jeweils eigenen Identität sowie die dazueghörige Wahrnehmung des Anderen seien hier als Gründe zu nennen.
Das dritte Panel untersuchte erneut die EU in den Internationalen Beziehungen, nun mit dem Fokus auf die EU als Akteur. Jessica Nuske von der Universität Bremen analysierte die Rolle der EU im Konflikt um das Südchinesische Meer und die Möglichkeiten europäischen Einflusses auf die asiatische Pazifikregion. Carolina Kiesel und Simon Lenhart von der Universität Köln stellten ihre Arbeit zur Policy-Forschung der EU, nämlich der europäischen Umwelt- und Klimapolitik in Brasilien vor. Außerdem untersuchte Daniel Mayerhoffer (Universität Bamberg) eine neuartige empirische Methode, mittels der Verhandlungsstrategien zur erfolgreichen Konfliktlösung und einer gemeinsamen EU-Außenpolitik führen können.
Im letzten Panel lag der Fokus ganz auf dem Thema der Krise. Simon Bein von der Universität Regensburg, Paula Beger aus Leipzig und Pascal Kersten von der TU in Darmstadt referierten über die zahlreichen Krisen der europäischen Union und deren theoretische Analyse. Simon Bein verglich die Lösungsstrategien der europäischen Führung in der Griechenland- und der Ukrainekrise und schlussfolgerte, dass nur über informelle Handlungspraktiken eine Lösungen für diese Konflikte gefunden werden konnte. Dies ist im ersten Moment logisch, da die formalen Prinzipien der Konsensbildung in der EU derzeit versagen, erzeugt jedoch neue Machtverschiebungen und Ungleichheiten innerhalb der Interessen der EU-Mitgliedsstaaten. Ähnlich argumentierte Pascal Kersten, der die EU ebenfalls im dauerhaften Krisenmodus verhaftet sah. Paula Beger widmete sich der Migrationskrise aus einer neo-funktionalistischen Sichtweise. Dabei wurde deutlich, dass die anhaltende Krisenhaftigkeit der EU auch ein Produkt der halbherzigen Vergemeinschaftung relevanter Politikfelder im Bereich der Migrationspolitik ist. Da in jeder Krise die Möglichkeit zur Erneuerung steckt, sollten nun allerdings bisherige Regeln und Muster überdacht und reformiert werden.
Am ersten Abend konnte die organisierende AG Herrn Prof. Dr. Siegfried Schieder von der TU Darmstadt zu einer einführenden Keynote-Rede gewinnen. Der Vortrag unter dem Thema „Europa auf Kollisionskurs: Konflikte, Krisen und Auswege“ widmete sich in theoretisch fundierter Art und Weise den politischen Problemen der Europäischen Union. Eines der Hauptargumente des Vortrages war der Verweis auf vier grundlegende politische Konfliktlinien in der EU: das ökonomische versus das soziale Europa (1), die Gläubiger-Staaten des Nordens gegen die Schuldnerstaaten überwiegend aus dem Süden (2), das alte (westliche) Europa gegen das neue Europa im Osten (3) sowie die Befürworter einer weiteren Integration gegen die Bewahrer nationaler Souveränität (4). Diese vier Konfliktfelder verursachen die tiefe derzeitige Krise der EU, so Prof. Schieder. Als Lösungsvorschlag mahnte der Politikwissenschaftler die Rückkehr zu kluger politischer Führung seitens der relevanten Akteure an und kritisierte die nur bedingt verantwortungsvolle Führungsrolle der BRD, trotz seiner ökonomischen Dominanz. Abzugrenzen sei sein Konzept politischer Führung von dem Begriff der Hegemonie. Führungswillige Staaten müssten vielmehr bestimmte öffentliche Leistungen bereitstellen und ihr Handeln am Gemeinwohl der Staatengemeinschaft orientieren.
Als weiteres Highlight hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am zweiten Tag die Möglichkeit, einen Workshop zum wissenschaftlichen Publizieren mit der Verlegerin Barbara Budrich vom gleichnamigen Verlag zu besuchen. Neben hilfreichen Tipps, an welchen Verlag man sich am besten mit seinen ersten Versuchen wissenschaftlicher Publikationen wendet, erklärte die Verlegerin alles zum Prozessablauf einer gelungenen Publikation und den jeweiligen Möglichkeiten in den verschiedenen Abschnitten der wissenschaftlichen Karriere.
Zusätzlich fand während der Fachtagung die jährliche Mitgliederversammlung der DNGPS statt, auf der auch der neue Vorstand gewählt wurde. Insgesamt war die Tagung trotz der für viele weiten Anreise nach Trier durch spannenden Input, einen lehrreichen Workshop der Verlegerin Barbara Budrich und der einleitenden Keynote von Prof. Schieder ein voller Erfolg. Die DNGPS freut sich auf die nächste Fachtagung im Jahr 2017 mit hoffentlich wieder interessierten Gästen und spannenden Vorträgen auf fachlich hohem Niveau.